Bismarck ab 1871 – ganz im Gegensatz zum nationalen Kraftgefühl breiter Schichten – durchdrungen von der politischen Gefährdung des neuen Reiches:

Bewusstsein der prekären Mittellage Deutschlands è Gefahr einer Einkreisungskoalition („cauchemar des coalitions“), die von Frankreich ausgehen und sich um eine Achse Paris – Petersburg kristallisieren würde.

Für ihn von vornherein klar, dass die Sicherung der deutschen staatlichen Existenz in der Mitte Europas nicht primär auf militärische Stärke, sondern auf gute diplomatische Beziehung zu gründen sei.


 

 

Konsequenz: Abbau des Misstrauens gegen das Reich als möglichen Störfaktor des europäischen Gleichgewichts. Den anderen durch die Überzeugung geben („durch den friedliebenden Gebrauch unserer Schwerkraft“), dass das eingespielte Gleichgewichtssystem durch das plötzliche Erscheinen des Deutschen Reichs nicht gesprengt, sondern – in etwas veränderter Form – erhalten geblieben  und das Deutsche Reich sozusagen ins europäische Gleichgewicht ‚eingeschleust’ worden sei.


 

 

Dazu nötig: Deutschland ist ‚saturiert’ è d.h. keinerlei weitere Gebietsansprüche, keine ‚großdeutsche’ oder ‚pangermanische’ Politik; rein defensiver Charakter der deutschen Außenpolitik; sich nicht mit eigenen Ansprüchen  in die Interessenzonen an­derer Länder einmischen; Zurückhaltung in der Kolonialpolitik.

 

 

Das hieß für Bismarck auch: durchgehende Ablehnung von Präventivkriegsideen (gegen Frankreich oder Russland), wie sie im Generalstab und auch in manchen Teilen der Öffentlichkeit kursierten.

Vgl. als Beispiel das liberale (!) „Berliner Tageblatt“ Mitte der 1880er Jahre: Es sei „ein gesunder Krieg einem kranken Frieden“ vorzuziehen. „Wenn Deutschland sich auf eine so bescheidene Rolle in der Weltpolitik beschränken wolle, wie der Fürst Bismarck sie ihm zumutet, dann hätte sich das deutsche Volk die Ströme von Blut und Schweiß sparen können, welche dazu gehörten, das Deutsch Reich zu gründen.“