Wichtige Aspekte zur deutschen Wirtschaft nach der Reichsgründung:

 

Demographische Revolution

Dtld.

1816

1871

1890

1913

 

25 Mio. <

41 Mio. <

52 Mio. <

67 Mio. <

Geburtenrate sinkt zwar durch verändertes  generatives Verhalten in der begin­nen­den Industriegesellschaft [Trend zur Kernfamilie, Kinder nicht als Alterssicherung], aber Sterberate [darin natürlich auch Kindersterberate enthalten] sinkt noch mehr

↨↨↨ Medizinische Fortschritte (Impfen / Narkose / z.B. Entdeck. Des TBC-Bazillus durch Koch / Entdeckung der Ursache des Kindbettfiebers durch Semmelweis u.v.a.m.]
↨↨↨ Verbesserte Hygiene (vgl. letzte große Cholera-Epidemie [Hamburg 1892 mit 8600 Toten ausgelöst durch ungefiltertes Elbwasser in den Trinkwasserleitungen]
[vgl. in Nördlingen nach zahlreichen Typhusfällen Wasserleitung mit Quellwasserversorgung ab 1896 durch Initiative des Bürgermeister Reiger gegen heftigste Widerstände in der Bürgerschaft]

↨↨ Verbesserte Ernährungslage durch Modernisierung der Landwirtschaft  (oft als „Agrarrevolution“ bezeichnet)
è Abgehen von der [seit ca. Karl d. Gr. vorherrschenden] Dreifelderwirtschaft è Fruchtwechselwirtschaft (mit Kartoffeln, Kohl, Zuckerrüben und Futterpflanzen {è mehr Vieh-/Fleischproduktion}); èTrend zur wissenschaftlich betriebenen Landwirtschaft; auch: Kunstdünger (Liebig)

 

Fabrikarbeit: Eine in der vorindustriellen Gesellschaft nicht gekannte Arbeitsdisziplin nötig  [Diktat der Uhr]; entsprechende Fabrikordnungen mit rigorosen Sanktionen – ohne Mitspracherecht etwa von Betriebsräten, die es noch nicht gab èHerr-im-Haus-Standpunkt“ des Unternehmers (z.T. auch Entlassung bei sozialdemokratischer Betätigung; Heiratskonsens des Fabrikherrn etc., vgl. M3 auf S. 129), Arbeitszeiten zunächst meist 6 Tage, z.T. bis 15-17 Std./Tag; jedoch 1911 durchschnittlicher Arbeitstag bei 11 Std.; starke Unterschiede ungelernte / gelernte (Fach-) Arbeiter (oft frühere Handwerker); Frauen im Durchschnitt 2/3 des Lohns für Männer.

 

Vom Agrar- zum Industriestaat
In Dtld. ab ca. 1830 Anlaufphase der Industrialisierung, ca. 1850ff Durchbruchsphase, ca. 1870ff Ausbauphase. Dtld. hinter England / USA zur drittgrößten Volkswirtschaft und zur zweitgrößten Industrienation..

Vor 1870 ca. 2/3 in der Landwirtschaft tätig; ab 1890er Jahren dreht sich dieses Verhältnis um [vgl. 2002 waren in Dtld. 1,27 Mio. im primären Sektor {Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei} tätig  =  2,5 % der Beschäftigten!]

Neue ‚Renner’ § Chemie (hier Weltspitzenstellung)/  § Feinmechanik + Optik (vgl. z.B. Zeiss) /  § Elektro (vgl. z.B. AEG u. Siemens) /  § Maschinen- und Motorenbau.( vgl. z.B. Daimler-Benz, MAN) (hier Dtld. in der Technik führend, in der Massenfertigung USA),  während die Montanindustrie als bisheriger Leitsektor zurücktritt [v.a.: Eisenbahnbau erreicht ca. 1900 Sättigungsgrad], obwohl sie noch starkes Wachstum aufweist (Verbund lothring.Erz ¥ Ruhrkohle / techn. Innovationen) [ablesbar auch an der Herausbildung des Ruhrgebiets als industriellem Ballungsraum]

Wirtschaftliche Impulse durch die Reichsgründung:
§ Vereinheitlichung der Währung (Mark löst die süddeutsche Gulden- und die norddeutsche Talerwährung ab); § Reichsbank, § Reichspatentrecht, § freie AG-Gründung ohne staatliche Konzession

Kurz nach Reichsgründung (1871-73) Gründerboom J (Ursachen: 5 Mrd Goldfrancs von Frankreich als Kriegsentschädigung è Kriegsanleihen können zurückgezahlt werden è Geld wird auf Börsenmarkt angelegt – „Börsenfieber“; Annexion Lothringens è Verbund lothring. Eisenerzvorkommen mit Ruhrkohle führt zu Boom der Montanindustrie) [architektonisches Pendant: „Gründerstil“ als neureicher Protzstil ó Gegenrichtung um 1900: Jugendstil] und folgende Gründerkrise L (1873f),  massenweise Zusammenbruch unsolider Unternehmensgründungen)

Fällt zusammen mit bis ca. 1890 anhaltender Wirtschaftsdepression; dies sowie zunehmende internationale Importkonkurrenz (u.a. infolge techn. Innovationen im Transatlantikverkehr u. Ausbau des russ. Eisenbahnwesens) steht hinter dem gemeinsamen Ruf v.a. der  Schwerindustrie sowie der Landwirtschaft [wirksamste Pressure Group die preuß. ‚Großagrarier’] nach Schutzzöllen; dieses „Bündnis von Rittergut und Hochofen“ (Junkern und „Schlotbaronen“) (vgl. Buch S. 97f) wirkte sich bis ins gesellschaftliche Leben hinein aus (vgl. Buch S. 107-109). Bismarck griff dieses Anliegen mit seinem Übergang zur Schutzzollpolitik (für die er sich eine neue parlamentarische Basis suchen musste) auf è Staat interveniert in die Wirtschaft ähnlich wie parallel dazu mit der staatlichen Sozialgesetzgebung (S. 142 f).