Zu gemailten Fragen:
Frage nach näherer Erläuterung zu den Begriffen "allgemeines gleiches Wahlrecht" sowie "Sozialistengesetz" sowie zum 'handout 08'
Antwort::
Das allgemeine gleiche Wahlrecht, das  Bismarck für die Wahlen zum Norddeutschen Reichstag bzw. ab 1871 zum Reichstag einführte: Alle Männer ab 25 (Frauen durften damals noch in keinem Staat wählen) hatten das Wahlrecht, also nicht  wie beim Zensuswahlrecht, wo man erst ab einer bestimmten Steuerquote an wählen durfte, oder wie bei in preußischen Dreiklassenwahlrecht, wo man je nach Steuerklasse – also nach Wohlhabenheit – unterschiedlichen Einfluss auf das Wahlergebnis hatte. Außerdem war das von Bismarck eingeführte Wahlrecht auch geheim und direkt. Dieses allgemeine, gleiche, direkte und geheime Männerwahlrecht war auch im Verfassungsentwurf der Revolution von 1848/49 – der ‚Paulskirchenverfassung’ – vorgesehen, war eigentlich das Kernstück der liberalen Paulskirchenverfassung.

Das Sozialistengesetz war ein 1878 von Bismarck nach 2 Mordanschlägen auf Kaiser Wilhelm I. [beide Attentäter waren - vereinfacht gesprochen - Wirrköpfe, die sich zwar als sozialistisch verstanden, aber nicht der offiziellen Parteilinie der deutschen Sozialdemokratie anhingen und auch nicht deren Mitgliedschaft besaßen] durch den Reichstag geboxtes Unterdrückungsgesetz gegen die deutsche Sozialdemokratie (Offizieller Name: Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands). Bismarck hielt die Sozialdemokratie wegen ihrer sozialistischen Fernziele (vgl. die von uns im Gothaer Programm von 1874  herausgearbeiteten Grundaussagen, siehe handout  17) für eine staatsfeindliche Umsturzpartei und schrieb ihr die geistige Urheberschaft an den Attentaten zu. Bismarck plante  zwar von Anfang an, dieses Gesetz, das die gesamte Öffentlichkeitsarbeit und organisatorische Betätigung der Sozialdemokratie unter Verbot stellte, durch eine die soziale Notlage der Arbeiter verbessernde Sozialgesetzgebung zu ergänzen. Trotzdem war das Sozialistengesetz [erst 1890 nicht mehr erneuert] ein Fehlschlag. Es unterschätzte, wie stark sich die (wenigstens die nicht kirchlich gebundenen) Arbeiter bereits mit der Sozialdemokratie solidarisierten und verstärkte vielmehr diese Solidarisierung  - wie sich auch an den kontinuierlich steigenden (von einem kurzfristigen Dämpfer abgesehen) Reichstagswahlergebnissen der Sozialdemokraten ablesen lässt (vgl. Grafik dazu). Und es erschwerte durch die Abstempelung der Sozialdemokraten als ‚Reichsfeinde’ oder – wie der spätere Kaiser Wilhelm II. sagte – „vaterlandslose Gesellen“ die Überbrückung der Kluft zwischen Staat/Reich bzw. reichsbejahendem Bürgertum und Arbeiterschaft.

 Zur Frage zu ‚handout 08’ (ob man die ganzen Zahlen wissen müsse): Ich habe ja schon hingeschrieben „nicht in den Details“. Es kommt keine Frage zur chronologischen Entwicklung des Krieges von 1870/71.

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Weitere Frage nach "Gründerkrise"
Antwort: Machen Sie sich wegen der Gründerkrise keine Sorgen. Ich habe sie im Unterricht bzw. in ‚handout 14’ nur kurz behandelt – als Mit-Ursache für den Ruf v.a. der Schwerindustrie nach staatlichem Schutz (durch Schutzzölle). Vom wirtschaftsgeschichtlichen Standpunkt müsste man diesen deutschen Konjunktureinbruch – der in eine langanhaltende weltwirtschaftliche Depressionsphase eingebettet war – natürlich viel ausführlicher behandeln [das Buch tut es ein bisschen auf S. 90]. Aber das habe ich – da es für das Verständnis der politischen Vorgänge relativ wenig bringt – nicht gemacht. Außerdem schlug die Krise – abgesehen von kürzerfristigen Lohneinbrüchen und Arbeitslosigkeit – nicht sehr stark auf die Arbeiter durch [im Unterschied zur Weltwirtschaftskrise von 1929ff], und in den 1880er Jahren wies das Wirtschaftswachstum bereits wieder positive Werte auf – nicht zuletzt durch die ‚neuen Renner’.
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Fragen  nach Dreiklassenwahlrecht, Wahlkreisgeometrie und Bündnis "Rittergut - Hochofen": Hier die Antwort:

Das Dreiklassenwahlrecht, das für die Landtagswahlen im größten Einzelstaat Deutschlands, Preußen, (und daneben auch noch in Sachsen) galt, gab den wohlhabenden Schichten mehr Einfluss auf das Wahlergebnis und damit auf die preußische Politik als den ärmeren. Die Funktionsweise (nach der in der Klausur nicht gefragt wird) war so, dass in jedem Wahlkreis die von allen Steuerpflichtigen gezahlte Steuersumme gedrittelt wurde; die relativ wenigen sehr Reichen [im Wahlkreis des Montanindustriellen Krupp war es nur einer, nämlich er selbst], die das erste Steuerdrittel aufbrachten,  bestimmten 1/3 der Wahlmänner (natürlich solche, die ihren Interessen nahestanden) [das Wahlrecht war nämlich indirekt, also die Wähler wählten die Wahlmänner und die wählten dann den Abgeordneten des Wahlkreises], diejenigen, die das zweite Steuerdrittel aufbrachten, wählten das zweite Drittel der Wahlmänner; und die paar tausend am wenigsten wohlhabenden Wähler wählten ebenfalls ein Drittel der Wahlmänner. also hatten die ärmeren Wähler natürlich relativ viel weniger Einfluss auf die Wahl des Abgeordneten. Es war also das Gegenstück zum gleichen Wahlrecht, das für den deutschen Reichstag galt. Benachteiligt war im Dreiklassenwahlrecht natürlich vor allem die Sozialdemokratie. Zur Veranschaulichung  folgendes Beispiel (das Sie natürlich nicht ‚lernen’ müssen, ebenso wenig wie die obige Funktionsweise, es geht ja hier nur ums Grundsätzliche: die fehlende Wahlgerechtigkeit und die extreme Benachteiligung der Sozialdemokratie bzw. Bevorzugung der Konservativen): Bei der preußischen Landtagswahl 1913 errangen die Konservativen mit 16,8 % der Stimmen 45,6% der Sitze, die Sozialdemokratie mit 28,4 % der Stimmen aber nur lächerliche 2,3 % der Sitze. Das preußische Dreiklassenwahlrecht war also extrem ungerecht; es galt bis zum Ende des Kaiserreiches.

Zur Frage mit den Einmannwahlkreisen und der Wahlkreisgeometrie bei Reichstagswahlen:
In jedem der 397 Wahlkreise in Deutschland für die Reichstagswahl wurde 1 Abgeordneter gewählt (und zwar mit absoluter Mehrheit, ergab sich eine solche nicht, dann wurde nochmals eine Stichwahl abgehalten – Fachausdruck für dieses Wahlverfahren: Absolute Mehrheitswahl); die in jedem Wahlkreis für die unterlegenen Kandidaten abgegebenen Stimmen blieben für den Wahlausgang unberücksichtigt, so dass die Sitzverteilung im Parlament nie der Verteilung der Stimmenprozente auf die einzelnen Parteien entsprach, was natürlich gerechter ist. Dieser Effekt wurde noch dadurch verschärft, dass die starke Binnenwanderung zu extrem ungleichen Wahlkreisgrößen führte: Beispiel im Buch 136 unten/137 oben! Auch hierdurch Benachteiligung der Sozialdemokraten, die ihre Wählerhochburgen natürlich in den Industriestädten hatten.

Zur Frage „Bündnis Rittergut und Hochofen“:

Hier genügt doch das, was im letzten – gelb markierten – Abschnitt von ‚handout 14’ steht oder auch in der – leicht blau markierten – Stelle im ‚handout 13’ steht: Das gemeinschaftliche Schutzzollinteresse der Industrie (v.a. der Schwerindustrie, weniger der exportorientierten ‚neuen Renner’) und der Landwirtschaft (mächtigster Teil die adligen Großgrundbesitzer in Preußen) und zusätzlich die gemeinsame Gegnerschaft gegen die Sozialdemokraten führten zu einer Annäherung der Creme des Wirtschaftsbürgertums an die traditionelle adlige Elite (was bis in den Lebensstil hinein ging: schlossähnliche Villen, Einheirat in den Adel, Wunsch nach Verleihung des Adelstitels etc.)

 

Wieso die Sozialdemokratie gegen die Bismarcksche Sozialversicherung  gestimmt? :
Antwort:
Ihre Frage ist, warum die Sozialdemokraten gegen die Sozialgesetzgebung Bismarcks stimmten (also gegen die Pflichtversicherung der Arbeiter gegen Unfall, Krankheit, Alter und Invalidität): Der eine Grund steht exakt in der von Ihnen erwähnten Stelle des ‚handout 16’ (ich hab sie leicht blau markiert): Es ist doch verständlich, dass die Sozialdemokraten  nicht für die Gesetzesvorlagen Bismarcks stimmten, nachdem dieser sie durch das Sozialistengesetz  als politische Kraft eliminieren wollte. Der zweite Grund ist, dass die Sozialdemokratie – wie wir aus dem Gothaer Parteiprogramm von 1875 herausgearbeitet haben (vgl. ‚handout 17’, die ersten 6 Tabellenzeilen) - als Fernziel einen völligen Systemwandel mit Abschaffung des wirtschaftlichen Privateigentums [dies war der Marx-Einfluss] anstrebte und dem Versuch Bismarcks, die soziale Unzufriedenheit der Arbeiter durch sein staatliches Versicherungswerk innerhalb des bestehenden Systems zu entschärfen, von Haus aus misstrauisch gegenüber stand. [Übrigens: das was unterhalb der blau markierten Stelle steht, auch der Stellenwert des Marxismus für die Soz.dem., gehört natürlich nicht zum Schulaufgabenstoff, da es nicht besprochen wurde.]

 

Jemand fragt: wie es zur deutschen Reichsgründung gekommen ist Erklärung der Begriffe:
 Deutscher Bund, Norddeutscher Bund usw.
Antwort:
Der Deutsche Bund war der lockere Staatenbund (ohne zentrale Regierung, ohne gewähltes gesamtdeutsches Parlament) mit Vorsitz Österreichs, der vom Wiener Kongress (1815) bis zum Sieg Preußens über Österreich 1866 bestand und den die Einheits- und Freiheitsbewegung (man kann auch sagen: die liberal-nationale Bewegung) durch einen freiheitlichen Nationalstaat ersetzen wollte (gescheiterter Versuch in der Revolution 1848/49).
Der Norddeutsche Bund war der 2/3 Deutschlands umfassende Bundesstaat mit Verfassung und mit per allgemeinem gleichem geheimem und direktem Männerwahlrecht gewähltem Parlament ("Norddeutscher Reichstag"), den Bismarck nach der Niederlage Österreichs im 1866er Krieg begründete. Die gelb markierten Teile von 'handout 07' enthalten hier alles Wichtige; nützlich wäre vielleicht auch ein Blick auf die Skizze zu 1866 und die Karte daneben. Dass der politische Anschluss Süddeutschlands damals nicht gleich erfolgte und somit gleich die Gesamteinigung Deutschland [ohne Österreich, versteht sich, das wegen seiner vielen Millionen Slawen und Italiener nicht Teil eines deutschen Nationalstaates werden konnte] verwirklicht wurde, lag am Veto Frankreichs, d.h. Kaiser Napoleons III. Durch die leichtsinnige französische Kriegserklärung an Preußen und die folgende Niederlage entfiel das französische Veto und die deutsche Einigung (d.h. der Zusammenschluss der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bund zu einem gesamtdeutschen Bundesstaat) war möglich. Wie die verlief, steht auf 'handout 10'.
 
Jemand fragte: Warum hatte Österreich einen "Vielvölkercharakter"? Was bedeutet das?
Antwort: Wenn Sie die hier als Dateianhang mitgeschickte Karte [sie ist im Internet unter folgender Adresse zu sehen: http://de.encarta.msn.com/media_81591470_761592677_-1_1/Mitteleuropa_nach_dem_Wiener_Kongress.html ]anschauen, sehen Sie sofort, dass die österreichische Monarchie bis zur Adria reichte, also Millionen Italiener umfasste, dass sie ferner große Teile Ost- und Südosteuropas umfasste (z.B. die heutigen Gebiete Tschechiens und der Slowakei, Teile Polens und der heutigen Ukraine und die nördlichen Balkangebiete), also viele Millionen von Slawen - insgesamt ca. 14 unterschiedliche Nationalitäten. Deshalb konnte Österreich - jedenfalls solange es sich nicht von seinen nichtdeutschen Nationalitäten trennte - nicht Teil eines deutschen Nationalstaats sein. Deshalb war also die "kleindeutsche" Lösung (also eine deutsche Einigung  ohne Österreich und damit logischerweise dann unter Führung Preußens) die einzig praktikable Möglichkeit eines deutschen Nationalstaatsgründung. 
Weitere Frage: Was bedeutet die "Schiedsrichterrolle Frankreichs"?
Antwort:
Mit dem Begriff "Schiedsrichterrolle" meinte ich, dass Frankreich (d.h. Napoleon III.) damals die Entscheidung darüber beanspruchte, ob Deutschland in einem Nationalstaat geeinigt würde. Der französische Standpunkt war damals, dass die Entstehung eines einheitlichen Staates östlich seiner Grenzen mit dem Interesse Frankreichs nicht vereinbar sei.